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ereignisraum 

Bernd Zimmer

Im 19. Jahrhundert begann die Zeit der Weltausstellungen. Zuerst in London, später in Paris, New York und St. Petersburg wurden Museen gegründet, die mit ihrem Anspruch die Kunst der Welt zeigen wollten. Das war auf der einen Seite der Kolonisierung der Welt zu verdanken oder anzulasten, auf der anderen Seite entstanden die Museen auch auf Grund der Ideen, die während der Französischen Revolution entwickelt wurden. Sie versuchten dem Wunsch Rechnung zu tragen, Kunstgegenstände, die vorher dem Adel oder der Kirche vorbehalten waren, dem Volk zur und durch Betrachtung näherzubringen. Auch der Handel mit exotischen Produkten, die beginnende Reisetätigkeit und das aufkeimende Interesse an der Welt jenseits der Nationalstaaten trug dazu bei, Objekte ferner Kulturen als Kunst wahrzunehmen. In vielen Nationalkulturen entstanden Institutionen, Sammlungen und Museen, die transnationale Projekte verfolgen und fördern sollten. Heute haben sich Veranstaltungen wie die Documenta in Kassel oder die Biennale in Venedig zur Aufgabe gemacht, gebündelt – aber nur temporär – die Kunst unserer Welt zu zeigen. Artifizielle Gegenstände werden aus ihrem Ursprungs-Umfeld gelöst und in einen neuen Kontext gestellt. Sie treffen in Räumen aufeinander, in denen sie sich normalerweise nicht treffen würden. Wie in einer surrealistischen Montage begegnen sich Dinge zur selben Zeit am gleichen Ort, die im „wirklichen“ Leben nie aufeinander treffen. Es entstehen Zusammenhänge, Grenzüberschreitungen und utopische Phantasien auf Zeit, die Neuzuordnungen ermöglichen, die im alltäglichen Leben nicht vorgesehen sind.

Die STOA169 greift diese Situation in einer experimentellen Form, die auf Beständigkeit angelegt ist, auf. Um die Vielfalt übergreifender Ideen in Form bildender Kunst  für die Zukunft zu sichern, lädt sie über 100 Künstlerinnen und Künstler aller Kontinente ein, Säulen oder Pfeiler zu gestalten, die ein gemeinsames Dach tragen. Die Säulen werden in der Halle STOA169 – „demokratisch“ –mit immer gleichem Zwischenraum angeordnet. So stehen sie in einem angemessenen Abstand nebeneinander als Vertreter unterschiedlichster kultureller Vorstellungen in Form bildender Kunst. Diese „Ausstellung“ oder Installation gibt nicht irgendeinen beliebigen lokalen Zusammenhang wieder, in dem Kunst funktionieren soll – sie ist durch und durch als Kunst gedacht und künstlich. Und diese unerwartete Künstlichkeit irritiert.

Die universalistische Ordnung der Kunst-Säulen vermittelt uns eine zeitgenössische, durch die Auswahl partikulare, stellvertretende „Weltausstellung“, aber auch Gesetze und wirtschaftliche Praktiken, die unsere Welt regulieren und am „Laufen“ halten. Diese Ordnung wird nicht direkt und einfach sichtbar, manifestiert sich aber in der Idee STOA169 selbst, die den Rahmen bildet. 

Das Konzept der STOA169 bietet eine umfassende, übergreifende Kunsterfahrung, die die Besucherinnen und Besucher der Halle – mitten in der Natur gelegen – mit einbezieht. Die Kunstwerke bzw. die Säulen sind aus ihrem ursprünglichen lokalen Kontext gelöst, haben aber eine gemeinsame tragende Aufgabe, sie bilden ein Universum. Sie entwickeln einen Dialog, eine Aura in ihrer tragenden Kraft, die über eine übliche, räumlich abgeschlossene Kunstausstellung hinausreicht. Die Besucherinnen und Besucher erleben einen bühnenähnlichen, aber offenen Raum, eine Ausstellung in der sie selber zu Teilnehmerinnen und Teilnehmern werden. Die Säulenhalle wird zum Ereignisraum, die STOA169 zum Kunstereignis.

Ziel des Idealismus und der Aufklärung war die Erschaffung einer vernunftorientierten Weltordnung – einer mondialen Vorstellung von Staat, der verschiedene, unterschiedliche Kulturen unterstützt und anerkennt. Das Ziel dieser staatsphilosophischen Vorstellungen ist bis heute immer noch weit entfernt. Ungleichheit wirtschaftlicher wie politischer Macht bestimmt die Weltpolitik, Asymmetrie kommerzieller Praktiken zeigt die Verwerfungen unserer Welt- und Wertevorstellungen. Globalisierung wird von einem großen Teil der Weltbevölkerung als wirtschaftliche Repression und Ausbeutung gesehen, erfahren und verstanden. Die STOA169 versucht durch ihren universalen, grenzübergreifenden Ansatz wenigstens einen Teil der bildenden „Kunst“welt – als symbolischen Ersatz – zu einem utopischen, globalen „Kunststaat“ zusammenzuführen. Sie beabsichtigt einen Kontext – die Konstruktion eines Repräsentationsraums – zu entfalten und anzubieten, die eine aufgeklärte, universalistische Zukunft andeutet. Die Manifestationen der bildenden Kunst fungieren als Stellvertreter der Länder und Nationen, gleichzeitig überzeugen sie als selbstständige Kunstwerke, die den individuellen Ausdruck feiern.

Polling im Mai 2019